05 Oktober, 2006

Evolution und Chaos

Angesichts der kulturellen Konflikte zwischen Abend- und Morgenland brauchen wir klare, analytische, bis auf den Grund des Denkens gehende Menschen, nicht Leichtgläubige.
Wenn der derzeit amtierende Papst in seinen Gastreden an deutschen Universitäten an die Tradition des Mittelalters in Geist und Handeln anschließt, kann man das nur damit erklären, das die Neuzeit der römischen Kirche schon immer Angst eingejagt hat.
Gott und einen Schöpfungsmyhos zu postulieren sollte einem systematisch denkenden Mann schon methodisch widerstreben. Die Aufklärung hat sich nicht die Mühe gemacht, den Menschen aus der Willkür eines göttlichen Willens zu entführen, damit gläubige Menschen ihn mit Hilfe eines unerklärlichen "Impulses" wieder dahin zurück stößt. .
Unzweifelhaft ist die Sicht der Evolution, wie sie vereinfacht von ihren Gegnern propagiert wird, zu eingeschränkt, um die Entwicklung der Welt schlüssig zu erklären. Viele Fragen, auch die des Ursprungs aller Dinge, wird nicht durch "trial and error" beantwortet. Begreift man den Lauf der Entwicklung aber erweitert, dann stellt sich die Frage nach einer "prima causa" nicht mehr. Denn nur solange wir den Entwicklungsprozess der Natur als eine lineare Bewegung auf ein Ziel gerichtet begreifen, brauchen wir einen Beginn, der außerhalb dieses Prozesses liegt. Und dies nicht nur, weil jeder Linearität ein Beginn inne wohnt, sondern weil das lineare System zugleich eine Dualität voraussetzt.
Die Beschränkung auf eine Linearität liegt aber nicht in der Welt begründet, sondern in der beschränkten Verarbeitungsleistung des menschlichen Geistes. Warum, wenn nicht um die unendliche Anzahl der Möglichkeiten des Seins zu begreifen, hat der Mensch da Mittel der Systematik entwickelt. Indem er aber gruppiert und strukturiert, reduziert er nur die sich ihm darbietende Wirklichkeit, bis sie in sein - notwendigerweise - beschränktes Gehirn paßt.
Kein vernünftiger Mensch wird ein Gänseblümchen mit einem Elefanten vergleichen. Und doch sind beides belebte Kreaturen, mithin über die Eigenschaft des Lebens verfügen. Sie und eine Unzahl anderer Kreaturen zeigen, dass die Natur sich nicht auf schlichte Dualität beschränkt und keinen Beweger braucht, der den Schaffensprozess anstößt.
Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter und behaupte, dass Aussagen, wie sie etwa Steven Hawkings in der theoretischen Physik macht, zeigen, dass der Variantenreichtum der Welt noch um ein Vielfaches über das hinaus geht, was wir Menschen überhaupt zu verstehen in der Lage sind. Zielgerichtetheit wird da zu einem überflüssigen Eskapismus.
Das Chaos, das Gott schied, ist immernoch da und in der gleichnamigen Theorie in all seiner Schönheit zu betrachten. Geschieden ist allein das Wort vom Ding und damit die ordnende Hand von der Vielheit.