26 November, 2009

Das Gefühl darf nicht immer schwächer werden

Die Finanzkrise rutscht langsam von der Tagesordnung, die Schäden verschwinden in Bilanzen und Koalitionsvereinbarungen.
Jeder geht wieder zum Alltag über: Der Eine, weil er erfolgreich verdrängt hat, in welcher Schieflage wir uns seit zwei Jahren befinden, der Andere, weil er nicht möchte, dass andere merken, in welcher Schieflage wir uns seit zwei Jahren befinden.

Unterm Strich hat sich nichts geändert. Finanz-Spekulanten gewähren sich weiterhin unkontrolliert und schamlos Bonuszahlungen in ungeahnter Höhe. Politiker schwingen unkontrolliert und schamlos Reden von der besten aller Welten. Wer Angst hat vor dem kapitalistischen Weltsystem, der hat nicht verstanden, dass es all jene schützt, die mit ihrer Meinung die Marschrichtung vorgeben.

Nur einer glänzt dieser Tage durch besondere Feinsinnigkeit, wie ein Kristall im verblassenden Sonnenlicht: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zeigte am Wochenende auf einer CDU-Veranstaltung, dass nicht die Tat das Verbrechen ist, sondern der Eindruck, der die Tat in der Welt hinterlässt.
In seiner Rede appellierte er an die Banker, so berichtet das online-Magazin "hintergrund.de", bei Bonus-Zahlungen Zurückhaltung zu üben, und warnte:
"Das Gefühl, dass es in der Welt gerecht zugeht, darf nicht immer schwächer werden."
Man beachte die beiden Wörtchen "Das Gefühl..."! Es gehe in der Welt zwar nicht gerecht zu, sagt dieser Philosoph des praktische Wissens, aber es gebe (bei manchen Menschen) ein Gefühl davon. Und das darf nicht schwächer werden.

Unter dem Aspekt, dass da ein ehemaliger Bundesinnenminister spricht, ist diese Aussage von besonderem Gewicht. Damals hatte er eine ähnliche Auffassung bewiesen, wenn es um die Verhältnismäßigkeit von Recht, Ordnung und Freiheit ging:
"Das Gefühl, dass es in der Welt gerecht zugeht, darf nicht immer schwächer werden."
Glückwunsch, Herr Schäuble. Wenn es schon immer ungerechter in der Welt zugeht, sollte man wenigstens kein Gefühl dafür entwickeln.